Sehr geehrter Herr Landrat ,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
normalerweise ähneln sich unsere Haushaltsreden ja in jedem Jahr.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben gerade wenigstens bei der SPD schon gemerkt:
Dieses Jahr ist kein normales Jahr.
Wir müssen uns in diesem Jahr über Weltpolitik unterhalten – auch wenn ich das im Kreistag eigentlich immer ablehne.
Wir müssen uns in diesem Jahr als demokratische Kräfte in den Grundfragen einig sein, damit die Gesellschaft auch hier im Ennepe-Ruhr-Kreis zusammenbleibt.
Wir müssen uns überlegen, wie sich unser Kreis in den nächsten Jahren entwickeln wird – denn er wird ein neues Gesicht bekommen.
Und deshalb müssen wir im nächsten Jahr mehr denn je interkommunale Zusammenarbeit vorschlagen und fordern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
dieses Jahr ist eine Ausnahme. Denn dieses Jahr zeigt erstmals sehr deutlich und in unserem direkten Lebensumfeld, welche Auswirkungen unser westlicher Lebensstil und unser Verhalten hat.
Ich will an dieser Stelle nicht moralisieren. Ich will aber trotzdem sehr deutlich sagen, dass wir Mitverantwortung an der hohen Zahl der Flüchtlinge tragen, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen und sich auf die Suche nach einem besseren Leben zu machen.
Die vielfältigen politischen und militärischen Einmischungen des Westens im Nahen Osten und in Nordafrika,
die Beteiligung an militärischen Abenteuern wie im Irak und in Afghanistan,
die Folgen der europäischen Landwirtschafts- und Fischereipolitik,
der Wassermangel in weiten Teilen Afrikas aufgrund des Klimawandels,
die wirtschaftliche Ausbeutung von Menschen in kleidungsproduzierenden Ländern in Asien
– diese Aufzählung ist nicht vollständig, deutet aber an, was ich meine.
So erklären sich übrigens auch die beiden vorliegenden Anträge der Grünen Fraktion zu Fairem Handel und zum Carsharing.
Aus unserer Sicht lohnt es sich, diese im Verhältnis zur Flüchtlingsproblematik und zum Klimawandel sehr kleinen Stellschrauben zu drehen, um die Welt ein Stückchen besser zu machen.
Deshalb freuen wir uns auch sehr über die Zustimmung von SPD und FDP zu diesen Anträgen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
natürlich ist es keine Lösung, über Zäune, Grenzkontrollen oder andere Maßnahmen nachzudenken. Wer vor existentiellen Nöten flieht, lässt sich auch von Zäunen nicht abschrecken.
Und selbstverständlich sind auch Obergrenzen keine Lösung – wie soll denn das praktiziert werden? Soll an unseren Grenzen ein Schießbefehl ausgeteilt werden, wenn die eine Person erscheint, die über der Obergrenze liegt? Oder wollen wir weiter, wie bisher, Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen?
Bisher wird in Berlin kein einziger sinnvoller Vorschlag diskutiert, der auch nur ansatzweise geeignet wäre, die Lage zu beruhigen und uns hier im Kreis damit zu helfen. Einzig die Beschleunigung der Asylverfahren könnte helfen – aber da ist trotz vieler Versprechungen noch nichts von zu spüren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir müssen uns mit dem Gedanken anfreunden, dass sich die Bevölkerungsstruktur des Ennepe-Ruhr-Kreises verändern wird. In diesem Jahr sind allein nach Nordrhein-Westfalen mehr als 250.000 Flüchtlinge gekommen. Etwa 4.000 davon leben im Moment in unserem Kreis – laut offiziellen Angaben!
Es gibt keine Anzeichen dafür, dass diese Zahl im nächsten Jahr sinkt. Ich rechne daher mit einem Bevölkerungszuwachs im Kreis mit ca. 10.000 Personen bis Ende 2016.
Liebe Kolleginnen und Kollege,
ich glaube, dass es gar keine Frage ist, wie wir mit diesen Menschen umgehen sollten. Selbstverständlich müssen wir sie schnellstmöglich in unsere Gesellschaft integrieren – jedenfalls so, wie uns als Kreis dies möglich ist. Wir selbst können keine Asylanträge beschleunigen. Aber man muss kein Hellseher sein um zu wissen, dass Flüchtlinge aus Syrien oder aus Afghanistan wohl nicht in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden können.
Sollte es also unter uns oder im Ennepe-Ruhr-Kreis Menschen geben, die nicht aus Nächstenliebe und Mitleid bereit sind, den Flüchtlingen zu helfen – dann sollten sie es wenigstens um ihrer selbst willen tun.
Denn nichts ist teurer, ist schädlicher als die Verweigerung von Integration. Das gilt selbstverständlich für beide Seiten, darüber muss man gar nicht diskutieren – aber man muss eben auch gute Angebote machen!
Verweigern wir heute Integration, haben wir morgen mit den Folgekosten zu kämpfen. Wir müssen heute in Bildung, in vernünftige Wohnungen, in Arbeitsplätze und Beschäftigungsmöglichkeiten investieren, um nicht morgen mit höheren Sozialkosten, gestiegener Kriminalität oder Ghettobildung zu kämpfen.
Die Folgen jahrzehntelanger verfehlter, nicht vorausschauender Sozialpolitik lassen sich leider auch im Kreis beobachten. Diese Fehler der Vergangenheit sollten wir heute vermeiden.
Mal ganz abgesehen davon, dass angesichts der dramatisch sinkenden Bevölkerung im Kreis Zuwanderung auch eine Chance ist, unsere Infrastruktur und unseren Lebensstandard zu halten. Natürlich hat nicht jeder Flüchtling einen Berufsabschluss in der Tasche. Aber wir brauchen Fachkräfte. Wir brauchen Erzieherinnen, Altenpflegerinnen, Facharbeiter. Selbstverständlich können wir dafür sorgen, dass die zu uns kommenden Menschen beispielsweise in solchen Berufen eine Perspektive erhalten. Daher bin ich sehr froh zu wissen, dass in der Verwaltung schon in die entsprechende Richtung gedacht und gehandelt wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich freue mich immer mehr darüber, dass wir angesichts der kommenden Herausforderungen so frühzeitig den Solidarpakt EN ins Leben gerufen haben. Seine Struktur, seine Idee bietet den Rahmen, gemeinsam mit unseren Kommunen auch über das wichtige Thema der Integration zu diskutieren und zu überlegen, wie wir gemeinsam Lösungen entwickeln können. Die Auftaktveranstaltung war schon relativ erfolgversprechend.
In diesem Zusammenhang sehe ich verschiedene Themenfelder, die es sich zu besprechen lohnen würde:
Wie könnte unsere Schullandschaft zukünftig aussehen, welche Ressourcen brauchen wir für die sich verändernde Schullandschaft, Stichworte Inklusion und Ende von Haupt- und Realschulen und die zusätzlichen Schülerinnen und Schüler?
Wie sieht der Wohnungsmarkt aus – können wir perspektivisch diese große Zahl an Menschen dezentral unterbringen und in vorhandene Strukturen integrieren oder müssen wir den Sozialen Wohnungsbau stärken? Und wenn wir ihn stärken, wie kann dies gelingen, ohne voreilig neue Viertel auf der grünen Wiese hochzuziehen?
Wie kann die Wirtschaft helfen, über Praktikumsplätze und Ausbildungsplätze Menschen in Arbeit zu bringen? Können wir hier von unseren Erfahrungen mit der Jobagentur profitieren?
Wie sind unsere Verwaltungen aufgestellt, wo sind Defizite, wie können die zusätzlichen Aufgaben wahrgenommen werden, ohne dass die restliche Arbeit darunter leidet?
Diese und viele andere Fragen sollten wir diskutieren. Wir sollten sie aber auch für unsere Arbeit in den regulären Gremien des Kreises beachten – aus diesem Grund haben SPD und GRÜNE auch den ihnen vorliegenden Antrag zur Integration gestellt.
Wir halten nichts davon, zusätzliche Strukturen innerhalb der Kreisverwaltung oder im politischen Raum zu schaffen.
Der Landrat hat das Thema zur Chefsache erklärt – und wir werden in allen Ausschüssen regelmäßig über die Themen Zuwanderung und Integration sprechen. Das ist aus unserer Sicht der richtige Weg des Umgangs – und für alle anderen Fragen gibt es den Ältestenrat, der ja in 2016 regelmäßiger tagen soll.
Eine Anmerkung ist mir an dieser Stelle noch sehr wichtig: Selbstverständlich kommen Verbesserungen in den genannten Bereichen allen Menschen im Kreis zugute.
Zusätzliche Lehrkräfte unterrichten schließlich alle Schülerinnen und Schüler.
Sozialer Wohnungsbau ist offen für alle anspruchsberechtigten Bürgerinnen und Bürger.
Und die Idee des Solidarpakts zeigt ja gerade, dass wir schon auf der richtigen Spur zur Zukunft des Kreises waren, noch bevor wir ahnen konnten, was zusätzlich auf uns zukam.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir sollten aber auch, bei allen geschilderten Herausforderungen, die bereits angestoßenen und von der Integrationsfrage mehr oder weniger unabhängigen Projekte nicht aus dem Blick verlieren.
Wir haben uns bereits in diesem Jahr sehr intensiv mit dem Nahverkehrsplan und mit der Zukunft der VER beschäftigt – das müssen wir auch im kommenden Jahr tun, um unseren ÖPNV leistungsfähig zu erhalten, und vielleicht sogar auszubauen! Aus unserer Sicht wird dies ein wichtiger Schritt sein, den Kreis lebenswert zu erhalten.
Wir werden mit Blick auf unsere Wirtschaft auch schauen, ob die Breitbandoffensive des Kreises Erfolg haben wird und welche Wachstumsperspektiven sich für die Betriebe des Kreises noch bieten.
Ein weiterer Punkt wird sicherlich auch die zukünftige Gestaltung der Kreisverwaltung sein. Schon jetzt deuten sich ja durch die Zuwanderung nicht nur neue, sondern auch intensivere Aufgaben an.
Hier müssen wir schauen, dass wir auch zukünftig als Arbeitgeber attraktiv bleiben, auch in Konkurrenz mit anderen Verwaltungen – und gleichzeitig die Belastung der aktuell Beschäftigten nicht verschärfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir unterstützen ausdrücklich auf den Kurs des Landrats, die Kreisumlage nicht noch weiter abzusenken. Wir haben volles Verständnis für den Kostendruck, der nach wie vor auf unseren Kommunen lastet. Aber wir sollten uns schon ein kleines Polster bewahren, da wir nicht wissen, was die Zukunft noch bringt.
Deshalb unterstützen wir auch die Anträge der FDP-Fraktion, in den Ausschüssen beispielsweise noch einmal über ein Controllingsystem nachzudenken.
Was wir aber nicht unterstützen ist die unseriöse Politik der CDU-Fraktion. Da ist jedes Wort zu viel – wir haben ja schon im letzten Jahr über den vermeintlichen Reichtum des Kreises diskutiert. Konsequent wäre es, wenn Sie vielleicht einfach die Auflösung des Kreises fordern würden. Dann könnten wir uns den jährlichen Kleinkram sparen und mal grundsätzlich über Ihr Verhältnis zu der Körperschaft, für die Sie hier eigentlich Verantwortung tragen sollten, diskutieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
da die CDU ja schon angekündigt hat, den Haushalt abzulehnen, und auch die Linke dies vermutlich tun wird, müssen wir ja irgendwas richtig gemacht haben.
Bei den Haushaltsberatungen meiner Fraktion hat ein Fraktionsmitglied sehr schön formuliert, dass der vorliegende Haushalt einer der rot-grünsten sei, über den er je beraten hat. Von daher stimmen die GRÜNEN diesem Haushalt auch sehr gerne zu.
„Es gilt das gesprochene Wort“